Jubelstürme!
Nach etwa 18-stündiger Reise haben wir wohlbehalten das Lacs Villa Guesthouse in Sierra Leones Hauptstadt Freetown erreicht. Wir sitzen mit dem Chef unseres Kooperationspartners Green Scenery, Joseph Rahall, zu einem kurzen strategischen Meeting zur Planung der nächsten Tage zusammen. Um 22 Uhr verwandelt sich Freetown in einen einzigen, unfassbar lauten Freudentaumel: Sierra Leone hat einen neuen Präsidenten, Julius Maada Bio. Mit 51,8% der abgegebenen Stimmen löst er den bisherigen Amtsinhaber Ernest Bai Koroma nach zehnjähriger Amtszeit ab. Dieser hatte es geschafft in dem bettelarmen Land zum drittreichsten Mann Afrikas zu werden. Die Hoffnung der Menschen im Land ist groß, dass der neue Präsident mehr an sein Volk, als an sich denkt. Für uns spannend: Bio kommt aus dem Distrikt Bonthe und wir denken, dass dies bei zukünftigen Taten seiner Herkunftsregion gewiss nicht schaden wird.

Wo sind wir hier eigentlich?
Acht Uhr morgens. Wir werden von unserem Fahrer Woury abgeholt. Im Headquarter von Green Scenery treffen wir kurz auf Mr. Abu Marah, der für uns seit etwa zwei Jahren die Buchhaltung und Lohnabrechnungen erledigt. Um zehn Uhr soll es dann losgehen Richtung Bonthe. Aber denkste: Wegen des Regierungswechsels haben alle Geschäfte geschlossen. Keiner weiß genau wohin sich Sierra Leones Währung entwickelt. Alle haben Angst zum falschen Preis zu verkaufen. Die Organisation von Wasser und vor allem Benzin kostet uns weitere zwei Stunden. Hätte man auch vorher erledigen können, aber stimmt ja, wir sind wieder in Afrika. In Freetown und den Dörfern, die wir bei unserer Fahrt durchs Land passieren, sind unglaublich viele Menschen auf den Straßen und feiern. Fast alle sind grün gekleidet, in der Farbe der neuen Regierungspartei SLPP (Sierra Leone People‘s Party). Nach mehr als fünf Stunden Fahrt befinden wir uns irgendwo im Niemandsland des afrikanischen Buschs und bemerken, dass Fahrer Woury und Begleiter Claude offensichtlich die Orientierung verloren haben. Kurze, aber deutliche Ansage von uns: Ab jetzt werden Menschen am Straßenrand gefragt. Stolz darf keine Rolle mehr spielen – jetzt zählt nur noch Ankommen. Gegen 18.30 Uhr (geplant war 16 Uhr) erreichen wir endlich den Küstenort Yagoi und treffen dort unseren Centermanager Brima B. Garrick. Gemeinsam besteigen wir (stolz!) unser centereigenes Boot – die „Hamburg“. Nach 90-minütiger Überfahrt (leider doch im Dunkeln, obwohl Britta dies unbedingt vermeiden wollte) erreichen wir endlich Bonthe. Alle Ausbilder und diverse Azubis warten bereits seit Stunden auf uns. Große Wiedersehensfreude, kurze Ansprache, das muss es für heute gewesen sein, Erschöpfungsschlaf.

Hurra, Hurra, die Chefs sind da
Unser erster Tag in Bonthe beginnt mit einer Lehrerkonferenz und einer Centerbegehung. Das Ausbildungszentrum befindet sich in wirklich gutem Zustand. Die Renovierungsarbeiten der vergangenen Monate haben deutlich sichtbare, positive Spuren hinterlassen. Wir bewundern Neuerrungenschaften wie den Außenarbeitsplatz unserer Tischler (selbstgebaut von Ausbilder Mr. Lewis und seinem Tischlerteam), den Ziegenstall, die kultivierten Agrarflächen unseres Agrarausbilders Mr. Ashun und den frisch gerodeten, centereigenen Fußballplatz. In den dann folgenden Einzelgesprächen mit unseren Ausbildern stellen wir wieder einmal fest, was für ein tolles Team wir haben. Alle sind engagiert und haben mittlerweile gut gelernt eigene Ideen zur Gestaltung ihrer Departments zu entwickeln und auch zu kommunizieren. Die Liste neuer Wünsche und Ideen wird stündlich länger. Gut so, dazu sind wir schließlich dort!

Eine personelle Veränderung gibt es: Unser Alphabetisierungslehrer hat uns nach mehreren ernsten Gesprächen in den vergangenen Monaten verlassen. Live wollte er unseren Ärger zu seiner Arbeitsauffassung offensichtlich nicht mehr zu spüren bekommen und hatte zwei Wochen vor unserem Erscheinen gekündigt. Im Team war sichtliche Erleichterung zu spüren. Es passt halt nicht immer. Neubesetzt wird diese Stelle mit einem der Jugendführer Bonthes, der das Center von der ersten Stunde an begleitet hat und mittlerweile Lehrer ist. Herzlich willkommen im Team: Idrissa Domingo!

Ein weiteres großes Thema ist die Centererweiterung um ein neues Gebäude für Klempner, Schlosser und Friseure. Um leichten bis deutlichen Druck auf unser Team aufzubauen, unerledigte Dinge jetzt endlich schnell zu erledigen, verschieben wir die geplante Grundsteinlegung auf den Tag unseres fünfjährigen Bestehens am 1.Oktober 2018. Positiver Nebeneffekt für uns: Wir haben mehr Zeit die Baukosten zusammenzusparen. Im Topf sind schließlich erst/immerhin schon 30%.
links: Eröffnungsrunde mit den Mitarbeitern
rechts: Mr. Ashun präsentiert das vorbereitete Gelände

Offizielle und Bälle
Tag zwei in Bonthe startet mit einem Treffen unseres Managementboards. Neben dem Vertreter von Green Scenery, unserem Centermanager und uns sitzen am Tisch der Chef der Ortsverwaltung Bonthes,  ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums, ein Bürgersprecher (was es nicht alles gibt!) und ein Gesandter der örtlichen Schulen. Britta leitet das Meeting! Immer wieder ein schönes Statement für das sonst männlich dominierte Gremium. Große Freude löst unsere Ankündigung des Baubeginns in absehbarer Zeit aus. Es gibt derzeit weder Klempner noch Schlosser in Bonthe und die Damenwelt muss zum Friseurbesuch eine Tagesreise aufs Festland auf sich nehmen. Von allen Offiziellen wird die positive Rolle des BYRC hervorgehoben und uns und unseren Spendermitstreitern ausdrücklicher Dank gezollt. Wichtige Themen wie Nachhaltigkeit und Effektivität des Centerbetriebes werden ausgiebig erörtert. Nach drei Stunden bei etwa 40 ° C ist unsere Kondition dann auch sichtlich am Ende und wir schließen die Sitzung.

Nachmittags wartet ein weiterer Höhepunkt auf uns: Der Fußballplatz wird mit einem Spiel gegen die Technikschule BonTech eröffnet. Unsere Handwerker treffen auf Techniker. Aber denkste: Auf dem Platz sieht es genau andersherum aus und wir gewinnen mit 2:1. Großartig: John, ein Freund unseres Centermanagers, begleitet das gesamte Spiel zum großen Vergnügen der etwa 250 Zuschauer mit gekonntem Livekommentar. Die von uns mitgebrachten Trikots werden stolz getragen und geben dem Spiel eine professionelle Note. Fußballschuhe sind dann bei unserem nächsten Besuch dran, aktuell spielen etliche unserer Jungs noch mit Plastiksandalen.

Immer wieder sonntags, kommt… der Bürgermeister
Dafür, dass das Center sonntags eigentlich geschlossen ist, treffen wir auf eine beträchtliche Zahl von Ausbildern und Azubis auf dem Centergelände. Die Nähwerkstatt von Mr. Humper brummt wie eh und je und auch etliche Tischler sind vor Ort. Eine gute Gelegenheit erste Videointerwies mit Azubis zu führen. Wie schüchtern die meisten doch sind… Mit unserer Hauswirtschafterin Mrs. Jalloh besprechen wir den nächsten Tag. Zur Übergabe der ersten Zertifikate erwarten wir mehr als einhundert Gäste. Alle wollen essen, alle wollen trinken. Eine Riesenaufgabe für sie.

Nachmittags finden wir endlich Zeit, nichts tuend durch unser geliebtes Bonthe zu schlendern. Smalltalk hier, Smalltalk da und ein ganz spezieller Hausbesuch bei einem unserer Tischlerazubis. Dieser ist an unserem Ankunftstag erstmals Vater geworden und hat seinen Sohn Lutz genannt. Was für ein Kompliment, was für eine Ehre. Baby Lutz wird gebührend bewundert und die Eltern erhalten einen kleinen Zuschuss für Babyklamotten.

Abends besucht uns Mr. Layemin Sandi, der Bürgermeister in unserem Guesthouse. Größte Wertschätzung auch von ihm und Hoffnung, begründet durch den Regierungswechsel, prägen unser Gespräch. Viel Interessantes erfahren wir von Mr. Sandi: Rassismus ist in Sierra Leone kein Thema. Muslime und Christen gehen friedlich miteinander um. Wer indoktriniert oder gar radikalisiert stellt sich ins gesellschaftliche Abseits. Er spielt in seiner Freizeit manchmal Volleyball auf unserem centereigenen Feld. Und last but not least: Obwohl Bonthe eine Insel ist gehen deren Bewohner nicht ins Meer, weil dort Dämonen leben. Dies erzählen Eltern jedenfalls ihren Kindern um sie vor dem Ertrinken zu bewahren und dann bleibt das eben ein Leben lang in den Köpfen.
Ein netter Abend mit einem angenehmen Menschen! Es kann übrigens sein, dass Mr. Sandi demnächst einer der neuen Minister des Landes wird.
 

links: Eindruck aus der Nähwerkstatt
rechts: Spaziergang durch Bonthe

links: Baby Lutz
rechts: Projektleiter aus Hamburg und Bürgermeister von Bonthe


Filmstars, Zeugnishelden und Partymäuse Den Vormittag des letzten Tages in Bonthe verbrachten wir mit weiteren Videoaufnahmen von Azubis. Waren gestern noch alle sehr schüchtern, trafen wir heute im IT-Department auf gut vorbereitete Poser. Aus den von uns angedachten 30-Sekundenclips wurden so mehrere 3-5 minütige Aufnahmen. Aber gut so! Wer ein Anliegen hat soll dieses auch äußern dürfen.

15 Uhr Ortszeit. Der große Moment. Die ersten 23 unserer Auszubildenden erhalten ihre Abschlusszertifikate! Am sogenannten High-Table sitzen der Bürgermeister, der Leiter der Kommunalverwaltung, der Mann vom Bildungsministerium, der Chef von Green Scenery, der Boss der örtlichen Radiostation – und Britta und Lutz. Vor uns die glücklichen BYRC-Absolventen, weitere Azubis die schon mal gucken wollen was sie hoffentlich auch bald erwartet, Familienangehörige und, wie überall, jede Menge Kinder. Untermalt wird das Ganze von Musik aus unserer neuen Musikanlage. Es werden Reden gehalten bis das Mikrophon glüht und ebenso zeigen sich auch die Köpfe unserer Hauptpersonen, die vor Aufregung kaum noch still sitzen können. Und dann ist es endlich so weit. Stolz nehmen 23 junge Frauen und Männer aus Bonthe ihre Abschlusszeugnisse in Empfang. Sie wissen in diesem Moment, dass sich die ganzen Mühen gelohnt haben und sie nun gut gerüstet ihr Leben gestalten können. Herzlichen Glückwunsch!

Dann folgt der große Auftritt von Mrs. Jalloh und ihren Mädels: Ziegen-Pfeffersuppe und Getränke für alle. Die Musik wird lauter, die offiziellen Gespräche weichen netter Plauderei, und wie aus dem Nichts erscheinen die ersten, sichtlich aufgebrezelten, jungen Damen auf dem Centergelände um der nun folgenden Party den passenden Rahmen zu geben. Irgendwie sind alle glücklich – und wir gerade ganz besonders.

Abschiedsfrühstück
Am nächsten Morgen um 7.30 Uhr sind sie alle da. Keiner unserer Ausbilder hat es sich nehmen lassen uns die Aufwartung zu machen. Letzte Worte, Händeschütteln, Umarmungen. Im nächsten Jahr kommen wir wieder, versprochen. Und die guten Menschen in Hamburg, die das Projekt so großartig unterstützen, bleiben an Bord, auch versprochen. Dann geht es – diesmal im Hellen – übers Wasser.  Drei Stunden durch den Busch, weitere drei Stunden über die einzige asphaltierte Straße des Landes nach Freetown und schon sind wir wieder im Lacs Villa Guesthouse. Völlig im Eimer, aber auch voller neuer Ideen. Es war wieder großartig!

Da geht doch noch was!
Lassen Sie es/lasst es Euch nicht nehmen am Freitagabend, 25.05.2018 um 19 Uhr, ins Apostelcafé am Hainholzweg 52 in Harburg zu kommen und sich persönlich davon zu überzeugen, was Hilfe am richtigen Ort so alles anrichten kann. Wir bieten abenteuerliche Geschichten, faszinierende Fotos und fesselnde Videos. Das muss man gesehen haben! Und wenn alle noch interessierte Gäste mitbringen, werden wir vielleicht immer mehr und können weiter wachsen. Für die Menschen in Bonthe!


Danke an alle die mitmachen!!!
Britta Rietzke und Lutz Mühlhaus

Wünsche, die Erfüllung suchen…

  • Die Tischlerwerkstatt benötigt 22 Paar Sicherheitsschuhe für etwa 440,- €
  • Tischlerausbilder Mr. Lewis träumt von einer Motorsäge für etwa 950,- € um Bretter zukünftig selbst herstellen zu können und nicht immer teuer einkaufen zu müssen.
  • Agrarausbilder Mr. Ashun könnte nach der Anschaffung weiterer Gartengeräte für etwa 200,-€ effektiver arbeiten.
  • Und unser Computerausbilder Mr. Abu Songa braucht einen Laserdrucker für sein IT-Department für etwa 400,-€